Medizin-Geschichten

Die Heilpflanze des Monats November 2016
Kurioses, Bizarres, Interessantes

Folge 55: Alraune (Mandragora officinarum)

Die geheimnisvollste aller Zauberpflanzen ist die Alraune. Seit der Antike wird die Mandragora bei Ritualen, aber auch als Heilpflanze verwendet.

Das Besondere ist die bis ein Meter lange Wurzel: Sie verzweigt sich und sieht oft aus wie ein Mensch. Diesen Alraunenmännchen oder –weibchen wurde früher nachgesagt, sie könnten über Generationen zu Reichtum und Wohlergehen verhelfen. Alraunenwurzeln sollten auch dazu verhelfen, diverse Wünsche zu erfüllen, in Kämpfen unverwundbar zu sein, unsichtbar zu werden und gesund zu bleiben. Dazu ist aber gute, regelmäßige Pflege notwendig: Jeden Freitag muss das Alraunenmännchen in rotem Wein gebadet, dann in ein Kleid aus roter und weißer Seide gehüllt und in ein Mäntelchen aus schwarzem Samt gewickelt werden. Vererbt wurden die Alraunen vom Vater nur an den jüngsten Sohn.

So ein ungemein potentes Zaubermittel war natürlich sehr sehr teuer. Einmal, weil die Alraune selten ist. Sie stammt aus der Mittelmeerregion und kommt bei uns nicht häufig vor. Um besonders zauberkräftig zu sein, sollte die Alraune außerdem unter einem Galgen gewachsen und aus Harn oder Sperma eines erhängten Diebes entstanden sein. So eine Pflanze zu finden, war schon sehr schwer. Noch schwieriger aber war, sie auszugraben. Außerdem war das lebensgefährlich, denn die Menschen-ähnliche Pflanze wusste sich zu wehren – mit einem Tod-bringenden Schrei beim Herausziehen. Wer auf Nummer sicher gehen wollte, dem wurde geraten, die Mandragora zunächst mit einem Schwert zu umkreisen. Beim Graben sollte man sein Gesicht nach Westen richten. Dann ging es darum, diesen Schrei zu überleben. Man konnte sich die Ohren zuhalten oder zustopfen. Noch sicherer war aber der Trick mit dem schwarzen Hund. Der wurde an die Pflanze gebunden. Dann lockte man ihn an. Dabei zog der Hund die Alraunenwurzel aus der Erde – so wurde er das Opfer des tödlichen Schreis, und der Mensch überlebte.

Die Alraunenmännlein waren also sehr wertvoll und teuer, dabei aber extrem schwierig zu bekommen. Kein Wunder also, dass es hier viel Betrug gab. Vor allem aus der Wurzel der Zaunrübe (siehe dort) wurden Falsche Alraunen geschnitzt und als echte verkauft. Aber es gab auch andere Kandidaten, zum Beispiel das Knabenkraut, die Tollkirsche oder sogar die Karotte. Übrigens haben Pflanzen, deren Wurzeln menschenähnlich aussehen, in anderen Kulturen zu ähnlichen Legenden geführt. Ein Beispiel ist der Ginseng.

Viel gibt es von der Alraune zu erzählen. Der Name Mandragora geht auf das Persische zurück und soll Menschenpflanze oder Mithras-Kraut bedeuten. Das deutsche Alraune soll sich von Alb (Kobold) und raunen, also flüstern, ableiten. Andere sagen, der Name gehe auf eine germanische Weissagerin zurück, die von den Römern Albruna genannt wurde.

Schon die Ägypter nutzten die berauschend wirkende Mandragora als Narkotikum. Sie wurde dem Wein zugesetzt. Die Araber glaubten, die Pflanze leuchtet in der Dunkelheit, und nannten sie deshalb Teufelskerze. Für die Griechen stammte die stark giftige Alraune aus dem Garten der Hekate, der Göttin der Magie. Sie soll eine der Zauberpflanzen der Circe gewesen sein, möglicherweise sogar ihr wichtigstes Zauberkraut namens Moly.

Außerdem wirkt die Mandragora aphrodisierend. Sie war denn auch ein Attribut der Aphrodite. Die (genießbaren) gelben Beerenfrüchte wurden Liebesäpfel genannt. Auch in der Bibel heißen die Alraunenfrüchte Liebesapfel. Die Mandragora wurde als ein von Gott geschaffenes Aphrodisiakum verehrt, denn das jüdische Volk sollte sich auf Geheiß Jehovas vermehren. Allein schon der Duft der Beeren sollte die Libido stimulieren. Im Mittelalter pressten Alchemisten „Alraunenwasser“ aus der Pflanze. Das galt nicht nur als sexuell anregend, daraus sollte auch Gold hergestellt werden können.

Mit der Inquisition änderte sich alles. Die Inquisitoren stellen den Besitz von Alraunen unter harte Strafe. Mandragora sollte ein Bestandteil von so genannten Flugsalben von Hexen sein. Die Stimmen, die etwa Jeanne d’Arc gehört hatte, sollten auf die halluzinogene Pflanze zurückgehen. Die über Jahrtausende verehrte Heil- und Zauberpflanze wurde nun als Hexen- und Teufelspflanze verschrien.

Quellen:

Katalog der Ausstellung „Druidenfuß und Hexensessel – Magische Pflanzen“ im Frankfurter Palmengarten

Ursula Armstrong | Redaktion | Sperberweg 2 | D-82152 Krailling | Telefon: +49 (0) 163 / 313 21 10 | e-mail: mail@uschi-armstrong.de | www.redaktion-armstrong.de

Alle Heilpflanzen des Monats

Die saftigen Beerenfrüchte der Alraune werden goldgelb, wenn sie reif sind. In manchen Kulturen wurden sie wegen ihrer aphrodisierenden Wirkung „Liebesäpfel“ genannt. Die reifen Früchte verströmen einen angenehmen Geruch. Schon allein dieser Duft soll sexuell anregend sein. Die Blüten der Mandragora sind übrigens hübsche violette Kelche, die mitten in einer Blattrosette stehen.
Foto: Armstrong